Donnerstag, 15. Juni 2017

24. Bis 26. März 2017: Das Gor‘kij Museum


Gastbeitrag von Natalja Salnikova (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg)

Im Rahmen des Kollegmonats des seit 2014 zwischen der Universität Freiburg und der Russischen Staatlichen Geisteswissenschaftlichen Universität (RGGU) Moskau bestehenden Internationalen Graduiertenkollegs „Kulturtransfer und ‚kulturelle Identität‘ – Deutsch-russische Kontakte im europäischen Kontext“ in Moskau unternahmen deutsche und russische Doktorand_innen vom 24. Bis 26. März 2017 eine gemeinsame Exkursion nach Nižnij Novgorod. Der Leitgedanke dieser Reise war, die zahlreichen unterschiedlichen Schichten der Stadt aufzudecken, ja sie als Palimpsest zu verstehen.
Abgesehen von historischen, künstlerischen und sogar kulinarischen Perspektiven auf Nižnij Novgorod, durfte die literarische Perspektive nicht fehlen – befanden wir uns doch in der Geburtsstadt des Schriftstellers Maksim Gor’kij, dessen Namen die Stadt von 1932 bis 1990 nicht umsonst trug. So beschlossen wir eines der insgesamt drei Gor’kij-Museen zu besichtigen. Den Besuch legten wir auf Sonntagvormittag, den letzten Tag unseres Aufenthaltes. Ohne Voranmeldung überfielen wir die Museumsmitarbeiter_innen der A. M. Gor’kij – Wohnung in der Semaško Straße 19, die gerade auf eine Delegation von (Fernseh-)Journalisten warteten. Die Letzteren verspäteten sich und so kamen wir spontan in den Genuss einer Führung. Das Museum bietet verschiedene Themenführungen an, die das Eintauchen in die Welt Gor’kijs erleichtern. Ich möchte hier die einzelnen Etappen nicht nacherzählen, sondern anhand von drei Gegenständen meinen persönlichen Eindruck vom Leben Gor’kijs darlegen. Dabei handelt es sich um Gegenstände aus seiner letzten Wohnung in Nižnij Novgorod, die er mit seiner Familie (Frau, Sohn und Tochter, später kam die Schwiegermutter dazu) von 1902 bis 1904 im zweiten Stock anmietete, als er ein bereits zu Weltruhm gelangter Schriftsteller war.
Gleich als die Tickets an der Kasse gelöst werden, bleibt ein Blick auf dem Samovar-Magneten hängen. Ein echter, auf Hochglanz polierter, steht hingegen auf der langen Tafel im Wohnzimmer des Hauses. Hier, wo Gor’kij im Kreise seiner Gäste die neusten politischen Ereignisse diskutierte und seine Werke rezitierte, aber wo auch sein berühmter Freund Fëdor Šaljapin Konzertauftritte improvisierte, sodass aufgrund des Platzmangels das Auditorium bis in den Garten ausquartiert wurde, durfte der Schwarze Tee nicht ausgehen. Dieser künstlerisch-literarische Salon spiegelt seine besten Jahre auch durch die wenigen erhaltenen, kostbaren Sammlungsgegenstände Gor’kijs wider. Unter anderem sind Werke von Il‘ja Repin, Mihail Nesterov und angewandte Kunst zahlreicher anderer Künstler zu sehen.



Wohnzimmer (Gor'kij Museum)



































Wenn ich mich in den (Museums)Häusern solcher Berühmtheiten, wie dem Gor’kijs, aufhalte, stelle ich mir unmittelbar die Frage, wie der Mensch wohl privat war. Welche Charaktereigenschaften sind durch die alltäglichen Dinge, die nun zu Exponaten geworden sind, noch zu erahnen? Gor’kij scheint kinderlieb gewesen zu sein. Nicht nur hat er seinen Kindern vorgelesen und spielerisch bestimmte Werte zu vermitteln versucht, sondern er hat auch wohltätige Vereine zu Gunsten von Waisenkindern unterstützt. So zum Beispiel die Organisationen der Neujahrsfeste und der Schlittschuhbahnen. Im Kinderzimmer Gor’kijs – bzw. Peškovs wie der eigentliche Nachname des Schriftstellers lautet – ist unter anderem eine Kinder-Hobelbank untergebracht, ein Nachbau. Auf einem Foto daneben ist das Original samt seines Sohnes – auch Maxim genannt – zu sehen. Da wird klar, für Gor’kij war nicht nur die geistige Entwicklung von Bedeutung, sondern auch das handwerkliche Geschick. Unter anderem sind auch Stickarbeiten – Geschenke für die Mutter und Großmutter Maxims (jr.) – in einer Glasvitrine zu bestaunen. Alles Gegenstände, die die Mutter Elena Peškova trotz der zahlreichen Umzügen und späterer Trennung aufbewahrt und dem Museum überlassen hat. Sie war auch maßgeblich bei der kuratorischen Rekonstruktion der Wohnung beteiligt und fertigte genaue Pläne an, wo welche Dinge ihren Platz in der Wohnung hatten.





Arbeitszimmer (Gor'kij Museum)

Nicht weniger interessant als die Charakterzüge ist wohl der schriftstellerische Arbeitsprozess an sich. In Gor’kijs Arbeitszimmer können die Besucher_innen sich mit dieser kreativen Tätigkeit etwas vertraut machen. Zum Teil ausgebreitet wie chirurgisches Besteck, findet sich das Schreibinstrumentarium auf dem Schreibtisch: Ein gläsernes Tintenfass, ein hölzerner Füllfederhalter, ein Brieföffner sowie ein Briefbeschwerer, die noch Gor’kijs Manuskripte und Gedanken festhalten. Der Schreibtisch unter seiner Glashaube ahmt ein Museum en miniature kleines Museum nach, das auf eine kleine Entdeckungsreise einlädt. Wer genau hinschaut, wird auch ein Geheimfach entdecken – wo Gor’kij sicherlich die eine oder andere kritische Schrift vor unerwünschten Leser_innen versteckt haben könnte. Inspirationen hat er zu Genüge gehabt. Schon seine Bücherkollektion, in welcher sich Bücher über Geschichte, Philosophie, Medizin, Biologie, Kunst, Kultur, Literatur, oder auch über das antike Griechenland wiederfinden, lässt seinen Wissendurst nur erahnen.
Wenn all diese Objekte, ja Gor’kij selbst, nach dem Museumsbesuch noch immer kein Bild eines Palimpsests hinterlassen haben, dann war wohl der Aufenthalt in dieser Wohnung viel zu kurz. Nach so viel Literatur-Kunst-Revolution-Schichten haben wir uns aber wahrlich einen Tee verdient – Schade nur, dass es kein Museumscafé mit einem Samovar gibt.

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg ▪ natalja.salnikova@mail.igk1956.uni-freiburg.de